Bekenntnisse eines Ichmenschen by Stendhal

Bekenntnisse eines Ichmenschen by Stendhal

Autor:Stendhal
Format: epub
Tags: biography
Herausgeber: Propyläen-Verlag


23. Juni 1807.

Gestern abend bin ich von Groß-Twülpstedt zurückgekommen. Wir fuhren Sonnabend um halb neun Uhr hin, Str[ombeck] und ich, Frau von Strombeck und Frau von Griesheim.Sophie Louise, geb. Freiin v. Cornberg (geb. 1758). Philippine und Minette waren eine halbe Stunde vorher abgefahren; Herr von Heerdt begleitete sie zu Pferde.

Um halb zwölf kamen wir in LauingenDas Gut des vorher genannten Herrn v. Lauingen bei Königslutter. an, wo wir gut frühstückten, wie ein Deutscher sagen würde: Rum, Bischof, Kuchen, Butter und Schokolade, nichts Warmes. Ich war den ganzen Tag mit mir zufrieden; meine Stellung zu Minette und Herrn von Heerdt beschäftigte mich. Minette machte sich beständig an mich heran; ich war bis zum Mittagessen etwas schüchtern, dann erfolgte ein Umschwung.

Nach Tisch sah ich deutlich, daß Minette in einer verliebten Ekstase war, die zwar nicht gefühlvoll war, im Gegenteil, aber gerade deshalb eine gute Gelegenheit zur Verführung bot. Schließlich sprach ich zu ihr von meiner Liebe, und zwar sehr gut, verblümt und doch sehr deutlich. Von diesem Augenblick bis zur Abfahrt war Herr von Heerdt traurig: er liebt sie wirklich.

Heerdt ist ein leicht französierter Holländer; der gesunde Verstand kommt bei ihm immer wieder durch. Er riet Str[ombeck], nicht dazu beizutragen, daß PhilippineVgl. Brief 10 Philippines in »Briefe einer Braut«. Lauingen war 44 Jahre alt, Philippine 17. Herrn von Lauingen heiratet. Das gäbe eine schlechte Ehe, d. h. sie würde ihn betrügen. Er jedoch liebt Minette tief; er ist dauernd um sie und redet immerfort mit ihr. Das ist durchaus gegen die französischen Sitten. Diese offne Bevorzugung verletzt die Gesellschaft, ja stört sie. Die Deutschen sind weniger gesellschaftlich gebildet; sie denken weit weniger als wir an das, was die Geselligkeit stört.

Die Ehemänner liebkosen ihre Frauen immerzu, aber kalt und phlegmatisch. Alle Deutschen aus Str[ombecks] Bekanntschaft haben aus Liebe geheiratet, nämlich er selbst, Herr von Münchhausen, dessen Bruder Georg,Karl v. Münchhausen (1777–1859) und Georg (gest. 1829). Herr von Bülow, Herr von Lauingen. Ich muß Faure um eine Liste von zwanzig bis dreißig französischen Ehemännern mit den Beweggründen ihrer Heirat bitten; es sind meist Konvenienzehen, was mit der Eitelkeit, der Hauptleidenschaft der Franzosen, zusammenhängt. Die Deutschen, die ich kenne ...Hier ist eine Lücke in der Handschrift. Die Ergänzung bietet das Buch »Über die Liebe« (Band IV dieser Ausgabe, S. 234 f.), wo dies Tagebuch unter Verwendung von Decknamen verwertet ist.

30. Juni (1. Juli).

Vergnügter Tag wegen der Geldsendung, die ich heute morgen von meinem Vater erhielt. Um ein Uhr reite ich nach dem »Grünen Jäger« zum Scheibenschießen. Ich gebe auf fünfundzwanzig Schritt dreißig Schuß ab, zwei in den Spiegel. Beim Rückweg erster schöner Trab in diesem Jahre. Abends gehe ich mit Str[ombeck] noch einmal hin. Fräulein von Griesheim und von OeynhausenCharlotte v. Oeynhausen, von Strombeck in seinen »Darstellungen«, II, 71, erwähnt. sind da. Beim Abendessen mache ich diese etwas verliebt, soweit ich beurteilen kann. Str[ombeck] kehrt mit mir zurück, wir betrachten die Sterne.

Heute morgen, am 1. Juli, habe ich mit Herrn Denys zum erstenmal das Duett »Se fiato in corpore avete«Aus Cimarosas »Matrimonio segreto« gesungen.

3. Juli.

Glücklicher Tag.



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